Gendermedizin: Warum Frauen und Männer nicht gleich sind

Ob Frau oder Mann, das soll in unserer modernen Gesellschaft kaum weiter eine Rolle spielen. In vielen Bereichen gibt es dabei sicherlich auch noch Aufholbedarf. So auch in der Gesundheitsversorgung. Anders als in anderen Bereichen geht es bei der modernen geschlechtssensiblen Gendermedizin jedoch nicht darum Frauen und Männer gleich zu behandeln, sondern auf deren biologische, soziologische und kulturelle Eigenarten einzugehen und die medizinische Versorgung entsprechend anzupassen. Denn zwischen Frau und Mann bestehen signifikante Unterschiede zwischen den Geschlechtern, die Auswirkungen auf deren Gesundheit haben können. Die Berücksichtigung von Genderaspekten in der medizinischen Forschung, Diagnostik und Therapie kann dazu beitragen, eine bessere Gesundheitsversorgung für alle Menschen zu schaffen

Erbkrankheiten: Unterschiede liegen bereits in den Genen

Es sind vor allem die kleinen Aspekte, die einen großen Unterschied zwischen den Geschlechtern machen. Angefangen bei den Chromosomen. So haben Frauen zwei X- und Männer ein X- und je ein Y-Chromosom. Auf einem X-Chromosom liegen mehr als 1.000 Gene. Auf einen Y-Chromosom hingegen weniger als 100. Aufgrund dessen leiden Männer deutlich häufiger an Erbkrankheiten, wie beispielsweise der Bluterkrankheit. Frauen hingegen können einen solchen Gendefekt über das zweite X-Chromosom ausgleichen, weshalb sie deutlich seltener an einer solchen Erkrankung leiden.

Neben den Genen finden sich aber auch Unterschiede in den Hormonen von Frauen und Männern, sowie im anatomischen Körperbau, den Geschlechtsorganen und den Gefäßen, wodurch sich unterschiedliche medizinische Anforderungen ergeben.

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Die Anatomie hat einen Einfluss auf die Gesundheit

Frauen und Männer unterscheiden sich anatomisch. Am deutlichsten sieht man diesen Unterschied an den Geschlechtsorganen. Aber auch andere Organe und Gefäße lassen Unterschiede zwischen Frau und Mann erkennen.

Beispielsweise ist der Anteil von Muskelmasse und Bindegewebe bei Mann und Frau unterschiedlich. Durch diese biologisch-anatomischen Unterschiede entstehen auch unterschiedliche Risikofaktoren für oder gar natürliche Schutzbarrieren gegen eine Erkrankung.

Während Frauen aufgrund der deutlich kürzeren Harnröhre häufiger unter Harnwegsinfekten leiden als Männer, wächst sich bei vielen Jungen in der Pubertät aufgrund eines stärken Lungenwachstums ein kindliches Asthma buchstäblich aus.

Nicht nur biologische Unterschiede

Neben biologischen Unterschieden bezieht sich die Gendermedizin nicht nur auf biologische Faktoren, die es bei der geschlechtsspezifischen Gesundheitsversorgung zu berücksichtigen gilt, sondern auch auf soziale und kulturelle Einflüsse. Geschlechterstereotypen und Rollenbilder spielen hierbei eine entscheidende Rolle und führen nicht selten zu gesundheitlichen Problemen wie Essstörungen oder psychischen Erkrankungen.

Herzinfarkt – ein Fall für die Gendermedizin

Männer erleiden deutlich häufiger einen Herzinfarkt als Frauen. Das kann daran liegen, dass Frauen statistisch besser auf sich achten. Sie gehen regelmäßiger zum Arzt und machen deutlich häufiger eine Vorsorgeuntersuchung als Männern. Zudem ernähren sie sich im Durchschnitt gesünder, rauchen und trinken weniger. Ihre Lebenserwartung liegt mit 83,4 Jahren deutlich höher als bei Männern mit 78,4 Jahren.

Und trotzdem sterben prozentual mehr Frauen, die einen Herzinfarkt erleiden als Männer. Durch geschlechtsspezifische Medizin wurde herausgefunden, dass Frauen bei einem Herzinfarkt häufig andere Symptome haben als Männer. Das klassische Ziehen im linken Arm und Schmerzen in der Brust kann bei beiden Geschlechtern auftreten. Bei Frauen ist es nur oft nicht so stark. Häufiger sind Schmerzen im Oberbauch oder Übelkeit mit Erbrechen. Die Unterschiede in den Symptomen führen auch heute noch dazu, dass ein Herzinfarkt bei einer Frau oftmals viel später als bei einem Mann diagnostiziert wird – oft auch zu spät, was die hohe Sterberate verrät.

Männerschnupfen wirklich schlimmer

Während die Frau trotz Schnupfen und Husten noch mitten im Leben steht, liegt der Mann bei den kleinsten Anzeichen einer Erkältung gleich tagelang flach. Was sich nach einem genderspezifischen Stereotyp anhört, hat tatsächlich einen medizinischen Hintergrund. Denn auch wenn der „Männerschnupfen“ häufig belächelt wird, hat sich in der medizinischen Forschung gezeigt, dass es Männern bei Schnupfen oder Grippe tatsächlich schlechter geht als Frauen. Ursächlich hierfür ist das Hormon Östrogen, dass die Vermehrung von Immunzellen unterstützt. Dadurch haben Frauen ein stärkeres Immunsystem. Das männliche Hormon Testosteron hingegen bremst sogar das Wachstum der Immunzellen.

Dosierungsunterschiede von Medikamenten bei Männern und Frauen

Dosierungsunterschiede von Medikamenten sind ein wichtiger Aspekt der Gendermedizin. Studien haben gezeigt, dass es geschlechtsspezifische Unterschiede in der Pharmakokinetik gibt, also wie der Körper ein Medikament aufnimmt, verteilt, verstoffwechselt und ausscheidet. Diese Unterschiede können dazu führen, dass Männer und Frauen unterschiedliche Mengen eines Medikaments benötigen, um die gleiche therapeutische Wirkung zu erzielen. Das ist beispielsweise bei bestimmten Herzmedizikamenten, wie Beta-Blockern, der Fall. Diese werden zur Behandlung von Bluthochdruck eingesetzt. Die Forschung hat gezeigt, dass Frauen oft eine niedrigere Dosierung benötigen als Männer, um die gleiche Wirkung zu erzielen, da sie in der Regel eine geringere Körpermasse, weniger Muskelmasse und einen niedrigeren Blutfluss haben als Männer.

Es ist wichtig, dass Mediziner die geschlechtsspezifischen Unterschiede in der Pharmakokinetik berücksichtigen und die Dosierungen von Medikamenten entsprechend anpassen, um unerwünschte Nebenwirkungen und Behandlungsfehler zu minimieren.

Maus-Mann: Ungleichheit der Geschlechter in der Forschung

Obgleich in Studien bereits herausgefunden wurde, dass Frauen und Männer unterschiedliche Dosierungen oder sogar gänzlich unterschiedliche Therapieansätze benötigen, werden die meisten Medikamente, bevor sie am Menschen getestet werden in Tierversuchen mit Mäusen getestet. Dabei kommen fast nur männliche Tiere zum Einsatz, da die Forscher befürchten, dass der weibliche Hormonzyklus der Maus die Testergebnisse beeinflussen könnte. Statt genau diese Unterschiede zu erforschen, werden diese bei der Zulassung von Medikamenten häufig nicht berücksichtigt. Auch in Pharmastudien sind Frauen unterrepräsentiert. Häufig weiß man deshalb wenig über geschlechterspezifische Wirkungen und Nebenwirkungen von Medikamenten. Der Grund, dass Frauen so selten an Pharmastudien teilnehmen, hat einen traurigen Ursprung: Durch den Contergan-Skandal in den 1950er und 1960er Jahren hat man sich entschlossen Frauen zum Schutz von ungeborenem Leben bei Pharmastudien weitestgehend auszuschließen. Für die geschlechterspezifische, medizinische Forschung bedeutet dies jedoch auch Einschränkungen bei Forschungsergebnissen.

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